Khamenei und Rafsanjani
An der Nayeb-es-Saltaneh-Straße (vormalig: Goethe-Straße), in der Razzagh-Nia-Gasse unweit einer Peugeot-Werkstatt, lag vor der Revolution die gemeinsame Mietwohnung von Akbar Hashemi Rafsanjani und Ali Khamenei. Der Anteil Rafsanjanis betrug 220 Tuman, der Khameneis 200 Tuman, etwa 31 bzw. 29 Dollar. Die beiden waren die einzigen Politiker der künftigen Islamischen Republik, die in so enger Beziehung standen, eine Beziehung, die sich jedoch stark abkühlen sollte.
Laut Akbar Hashemi Rafsanjani hatten sich die beiden im Unterricht von Ayatollah Mohaghegh Damad, einem bekannten Dozenten des Theologischen Seminars in Qom, kennengelernt. Während einer Pilgerreise nach Kerbela, der heiligen Stadt im Irak, die das Grab des dritten schiitischen Imams Hossein beherbergt, seien ihre Beziehungen noch enger geworden.
Einige nennen als Datum für diese gemeinsame Reise das Jahr 1957, andere das Jahr 1958. Ayatollah Ja’far Shabiri Zanjani, der damals ebenfalls die Pilgerstätte besuchte, berichtet, Khamenei habe wiederholt geäußert, er möge niemanden auf Anhieb. Zunächst sei seine Beziehung zu Rafsanjani nicht „sehr eng“ gewesen, später aber habe sich ihre Freundschaft gefestigt.
1959 ging Khamenei nach Qom, wo sich die Freundschaftsbande der beiden verstärkten. Ihr jeweiliger Status war allerdings nicht vergleichbar. Hashemi Rafsanjani war als eines der ursprünglichen Mitglieder von Ayatollah Khomeini’s Freundeskreis anerkannt. Ayatollah Hossein Ali Montazeri und Ayatollah Mahmoud Taleqani hatten einen je unabhängigen Rang. Zu Beginn der Revolution fiel Rafsanjanis Name häufig, unter anderem unter Premierminister Mehdi Bazargan. Khamenei’s Name hingegen wurde kaum je erwähnt.
1980 wurde Rafsanjani zum Sprecher des ersten Parlaments der Islamischen Republik gewählt, während Khamenei nur ein gewöhnlicher Abgeordneter war. Mohammad Hossein Beheshti, der zweite Mann in der nachrevolutionären politischen Hierarchie wurde Chef der Justizbehörden, während Morteza Motahari weiterhin einer der Chefideologen der Islamischen Republik blieb.
Vormalige Unterstützer erben Führungsfunktionen
Die junge Islamische Republik wurde von einer Reihe von Krisen geschüttelt:
Die Geiselnahme der amerikanischen Botschaft; der Krieg mit dem Irak; die Abdankung Mehdi Bazargans unter dem Druck von Hardlinern: die Amtsenthebung des ersten Präsidenten Abolhassan Banisadr und die tödlichen Anschläge auf Mohammad Beheshti, Morteza Motahari, Banisadrs Nachfolger Mohammad-Ali Rajaei und Premierminister Mohammad-Javad Bahonar.
Diese Katastrophen ebneten für einige Personen der zweiten Reihe den Weg in politische Leitungsfunktionen. Abdolkarim Mousavi Ardebili wurde Chef der Justiz, Khamenei wurde zum Präsidenten gewählt und Mir Hossein Mousavi wurde Premierminister. Diese drei trafen sich zusammen mit Ayatollah Khomeini’s Sohn Ahmad Khomeini und Hashemi Rafsanjani als Oberhäupter der drei staatlichen Gewalten, von denen damals viele grundlegende Entscheidungen getroffen wurden. Dabei war Rafsanjani immer noch derjenige, der Ayatollah Khomeini am nächsten stand.
Als Khamenei Präsident war, unterstützte Rafsanjani ihn zwar, aber in den endlosen Auseinandersetzungen zwischen dem Präsidenten und dem Premierminister war er ständig gezwungen, die Rolle eines Vermittlers zu spielen.
Hashemi Rafsanjani spielte schließlich eine oder sogar die wichtigste Rolle bei der Ernennung Khamenei’s zum Nachfolger Khomenei’s als Oberster Führer. Er selbst hatte sich seit einiger Zeit auf das Amt des Präsidenten vorbereitet und arrangierte im Expertenrat des Führers alles so, dass Khamenei’s Ernennung quasi feststand, im Glauben, er werde, wie unter Ayatollah Khomenei, seinen beträchtlichen Einfluss behalten und ihn noch um die Macht der Exekutive erweitern können.
Nachdem Khamenei Oberster Führer wurde, wendete sich jedoch das Blatt.
Der Aufbau eines eigenen inneren Zirkels
Während der Ära Ayatollah Khomeneis hatte er kein eigenes Team um sich gehabt. Nun bildete er seinen inneren Zirkel aus Geistlichen, die im Geheimdienst aktiv waren, und rekrutierte Personen wie Mohammad Mohammadi Golpayegani als seinen Teamchef und Ali Asghar Mir Hejazi als dessen Delegierten in politischen und Sicherheitsfragen. Beide sind bis auf den heutigen Tag im Amt.
Die persönlichen Beziehungen zwischen Khamenei und Hashemi Rafsanjani blieben während der sechs Jahre der Präsidentschaft Rafsanjanis wie zuvor. Khamenei besuchte als Oberster Führer den Präsidenten. Ihre Sitzungen waren wöchentlich, einmal war Khamenei Gastgeber, einmal Rafsanjani. Trotzdem wurde Hashemi Rafsanjanis Position zunehmend geschwächt.
Khamenei war gegen einige der wichtigsten politischen Vorhaben Rafsanjanis, darunter die Verschmelzung der Revolutionsgarden und der regulären Streitkräfte und die Verbesserung der Beziehungen zu Amerika. Immer häufiger mischte sich der Oberste Führer in die Exekutive ein. Innenminister Abdullah Nouri wurde abgesetzt. Mohammad Khatami, Rafsanjani’s Minister für Kultur und Islamische Rechtleitung, wurde wegen seiner Differenzen mit Khamenei in der Kulturpolitik und der Pressefreiheit zur Abdankung gezwungen. Gegen Ende der Regierung Hashemi Rafsanjanis wurde die Gruppe der Ansar-e Hezbollah („Freunde der Partei Gottes“) gebildet, eine Art Bürgerwehr, die Demonstrationen gegen „unislamische“ Regierungspolitik organisierte und Individuen, Zeitungen und jegliche Organisation oder Person angriff, die sie als „Abweichler“ betrachtete.
Neben Khamenei’s persönlichen Interventionen lancierten ihm nahestehende Geheimdienstkräfte eine Kampagne, um die Kinder Rafsanjanis in eine Korruptionsaffäre zu verwickeln. Dies führte schließlich zur Festnahme von Abbas Yazdanpanah Yazdi, einem iranisch-britischen Geschäftsmann und Vertrauten von Rafsanjanis ältestem Sohn Mehdi Hashemi, der seinerseits 2015 wegen „Verstößen gegen die Sicherheit und Finanzverbrechen“ zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Hossein Taeb, der aktuelle Chef der Geheimdiensteinheit der Revolutionsgarden, ließ als damaliger stellvertretender Geheimdienstminister Yazdanpanah verhaften und nahm einige seiner Geständnisse auf Video auf, die erst Jahre nach der Festnahme Mehdi Hashemis verbreitet wurden. Das wiederum führte zur Entfernung Taebs aus dem Ministerium für innere Sicherheit.
Einige glauben, dass Taeb für die Entführung und das Verschwinden Abbas Yazdanpanah Yazdis aus Dubai im Sommer 2013 verantwortlich ist. Yazdanpanah wurde seitdem nie wieder gesehen. Die Autoritäten von Dubai verhafteten zwar mehrere Iraner, aber der Fall blieb ungelöst. Die britische Polizei teilte Yazdanpanahs Ehefrau mit, dass ihr Gatte vermutlich tot sei.
Ein schockierter Khamenei legt nach
Der Sieg Muhammad Khatamis in den Präsidentschaftswahlen 1997 führte dazu, dass Rafsanjani erneut in eine Machtposition gelangte. Damit hatte Khamenei nicht gerechnet.
Der Oberste Führer überwand jedoch nach kurzer Zeit seinen Schock und unternahm Schritte, um der Regierung Khatamis Zügel anzulegen. Im Juli 1998 wurde der damalige Teheraner Bürgermeister Gholamhosein Karbaschi, der die Hauptstadt aus der nachrevolutionären Flaute geholt hatte, ungeachtet seiner Appelle an Khamenei wegen Schiebung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Als Hashemi Rafsanjani im Freitagsgebet öffentlich dagegen protestierte, skandierten Mitglieder der Hezbollah Slogans gegen ihn.
Im Jahre 2000, in den ersten Parlamentswahlen nach dem Ende seiner Präsidentschaft, kandidierte Hashemi Rafsanjani für einen Sitz im sechsten Parlament. Dabei attackierten ihn sowohl reformistische Gruppen als auch Hardliner und Unterstützer Khamenei’s. Er ging als Letzter aus dem Wettbewerb um die Vertretung Teherans hervor. Einige Zeit nach den Wahlen jedoch verbesserte sich sein Verhältnis zu den Reformisten, wohingegen er sich vom Obersten Führer noch weiter entfernte.
Bei den Präsidentschaftswahlen 2005 kam es zur öffentlichen Konfrontation zwischen Khamenei und Hashemi Rafsanjani, der wieder kandidierte. Mahmoud Ahmadinejad, der damalige Teheraner Bürgermeister, Hardliner und loyaler Unterstützer Khamenei’s, schlug Rafsanjani um ca. 62 bis 36 Prozent. Rafsanjani beklagte Wahlbetrug und schrieb nach den Wahlen einen offenen Brief an die „Saboteure“ und diejenigen, die Einfluss auf die Wahl genommen hatten, in dem er sie „Gott übergab“. Damit wollte er sagen, dass er seine Klage nicht einmal vor den Obersten Führer der Islamischen Republik bringen wollte, da er ihn mit anderen Worten in diese Vorkommnisse verwickelt wusste.
In den Präsidentschaftswahlen 2009 wurde der andauernde Zwist erneut öffentlich und Rafsanjani richtete einen „grußlosen Brief“ an Khamenei. In Anspielung auf die Attacken Ahmadinejads gegen seinen Hauptrivalen Mir Hossein Mousavi forderte er Khamenei auf, etwas zu unternehmen, „damit das Feuer, dessen Rauch gegenwärtig sichtbar ist, gelöscht werde und verhindert werde, dass es im Laufe der Wahlen und danach noch mehr aufflammt.“ In einer im Fernsehen ausgestrahlten Debatte hatte Ahmadinejad behauptet, Mousavi werde von einer Reihe „korrupter“ Amtsträger, darunter Rafsanjani und dessen Söhne, unterstützt.
Etwa 10 Tage später machte Khamenei in seiner Freitagspredigt am 19. Juni 2008 deutlich, dass er Ahmadinejads Behauptungen zustimmte. Hashemi Rafsanjani antwortete ihm in einer Predigt vom 17. Juli, in der er sich klar hinter die Protestierenden stellte:
„Wir alle, vom Establishment, den Sicherheitskräften, der Polizei, dem Parlament und auch die Protestierenden, sollten im Rahmen des Gesetzes handeln. Wir sollten die Türen für Debatten öffnen. Wir sollten nicht so viele Menschen im Gefängnis einsperren. Wir sollten sie freilassen, damit sie sich um ihre Familien kümmern können… Es ist unmöglich, über Nacht öffentliches Vertrauen wiederherzustellen, aber wir müssen jedem erlauben, sich zu äußern. Wir sollten logische und brüderliche Diskussionen führen, und unser Volk wird darüber urteilen. Wir sollten unsere Medien schreiben lassen, im Rahmen des Gesetzes, und ihnen keine Beschränkungen auferlegen. Wir sollten sogar zulassen, dass unsere Medien uns kritisieren. Unsere Sicherheitskräfte, unsere Polizei und andere Organe müssen ein gutes Klima für Kritik garantieren.“
Die Auseinandersetzungen dauerten an. Rafsanjani antwortete jedoch trotz Drängen nicht auf den Brief des Islamgelehrten Mohsen Kadivar über die „Erhellung des Amtes des Obersten Führers der Islamischen Republik Iran“ an ihn und andere Mitglieder des Expertenrates des Führers. Darin hatte Kadivar geschrieben, der Rat hätte zumindest theoretisch die verfassungsmäßige Macht, den Obersten Führer zu ernennen, zu überwachen und zu entlassen. Er schlug vor, Khamenei seines Amtes zu entheben.
Mohsen Kadivar berichtete später, dass in der Vorstandssitzung des Expertenrates am 11. August 2009 eine Anzahl von Vorstandsmitgliedern eine klare Antwort Rafsanjanis auf diese Worte und seine Unterstützung des Obersten Führers forderten. Rafsanjani habe entgegnet, sie sollten nicht vergebens darauf bestehen, da er vielen Ausführungen im betreffenden Brief zustimme.
Weniger als acht Monate nach Veröffentlichung des an Hashemi Rafsanjani, den damaligen Vorsitzenden des Expertenrates, gerichteten Briefes wurde er am 8. März 2011 nicht mehr für den Vorsitz des Rates nominiert. Statt seiner wurde Ayatollah Mohammad-Reza Mahdavi Kani Vorsitzender. Rafsanjani sagte, er habe seine Kandidatur zurückgezogen, „um Spaltung zu vermeiden“.
Zuschlagen sämtlicher Türen zur Versöhnung
Weitere Ereignisse, darunter die Inhaftierung von Rafsanjanis Tochter Faeze und seinem Sohn Mehdi Hashemi, ließen keinen Weg zur Versöhnung mehr offen. In den Wahlen von 2013 erklärte Hashemi Rafsanjani noch einmal gegen den Willen Khamenei’s seine Kandidatur, wurde aber vom Wächterrat als ungeeignet abgelehnt. Daraufhin erklärte er: „Ich glaube, dass man das Land kaum noch schlechter regieren kann.“
Der deutliche Sieg Hasan Rouhanis und Rafsanjanis in den Wahlen zum Expertenrat 2016 war eine öffentliche Ohrfeige für Khamenei. Kandidaten, die von Reformisten unterstützt wurden, errangen letztlich 52 der 88 Sitze des Rates.
Rafsanjani starb am 8. Januar 2017 infolge eines Herzanfalls in einem Schwimmbecken. Nicht einmal nach seinem Tod wahrte Khamenei den Schein. So benutzte er beim Totengebet nicht die übliche, auf Arabisch gesprochene Formel „Gott, wir wissen nur Gutes über ihn, und Du weißt es am besten“, sondern sagte stattdessen dreimal „Gott verzeihe dir.“ Demgegenüber benutzte er beim Totengebet für Mahmoud Hashemi Shahroudi sehr wohl die übliche Formel.
Nach Rafsanjanis Tod versuchte Khamenei, dessen Familie aus dem öffentlichen Leben zu vertreiben. Rafsanjanis Töchter Faeze und Fateme wurden von der Islamischen Azad Universität gewiesen.
Rafsanjanis ältesten Sohn Mehdi Hashemi begnadigte Khamenei selbst nach dem Tode seines Vaters nicht. Zuvor, nach dem Tod Alireza Nouris, hatte Khamenei hingegen verfügt, dessen Bruder Abdullah Nouri, der als reformistischer Abgeordneter und Unterstützer von Präsident Khatami im Gefängnis saß, zu begnadigen.
Während der Trauerperiode nach dem Tod ihres Vaters suchten Rafsanjanis andere Söhne Khamenei auf, wobei sie ihre beiden Schwestern nicht mitnahmen. Vielleicht, weil sie fürchteten, die beiden würden offen das Verhalten Khamenei’s gegen ihren Vater kritisieren. Dessen ungeachtet verlief die Begegnung bitter und voller Anspielungen. Mohsen Hashemi will zu Khamenei gesagt haben „Nach dem Tod unseres Vaters seien Sie unser Vater.“
Khamenei soll daraufhin statt tröstender Worte geantwortet haben: „Hashemis Kinder haben niemals gehört, auch auf ihren eigenen Vater nicht.“